Erinnerung an Clajo und unsere gemeinsame Geschichte…..

Ich habe Clajo 1991 kennen gelernt. Die Kirchenverwaltung brachte uns zusammen. Man hatte ihm die zweite Pfarrstelle in Babenhausen angeboten, die ich schon einige Zeit mit verwaltet hatte. Ich war heilfroh, einen Kollegen zu bekommen, den ich war als Berufsanfänger mit zwei Pfarrstellen und 4.500 Gemeindemitgliedern reichlich mit Arbeit belegt. „Toll“, dachte ich, „endlich bekomme ich Entlastung.“
Clajo kam in unsere Küche, sagte freundlich „Guten Tag“ und: „Demnächst gehe ich nach Lissabon und übernehme dort die Auslandspfarrstelle.“ Hallelujah!

Na, es sind dann 13 Jahre gemeinsame Arbeit in Babenhausen und Harreshausen geworden. Ihm, meiner Ehefrau Karin und mir ist die Aufgabe zugefallen, ein neues Kapitel in der Geschichte der beiden Kirchengemeinden zu schreiben. Wir waren keine Schlips- und Anzugpfarrer mehr, sondern Geistliche in Jeans und T-Shirt. Karin war die erste Frau seit Jesu Geburt im Babenhäuser Gemeindepfarramt – da hieß es für alle Beteiligten, sich neu zu orientieren! Das hat dann auch – nach ein paar Stammtischrülpsern in der „Babenhäuser Zeitung“ zu Beginn – aufs Ganze gesehen ganz gut geklappt. Mit Clajo war es nie langweilig, er war ein origineller Prediger, ein hingebungsvoller Seelsorger (vor allem, wenn er betrübte Seelen vor sich hatte) und ein rechtschaffener Schussel, wenn es um Organisation und Verwaltung ging. Ein Kollege sagte im Rückblick: „Immer wenn Clajo gesagt hat: ‚Ich übernehme die Organisation‘ haben wir sofort zum Heiligen Geist gebetet.“ Schulunterricht war ihm eine Last, Beerdigungen hat er sehr gründlich vorbereitet und gut gemacht, Kritik hat er gehasst und mit so ziemlich allen Angestellten der Kirchengemeinde und nicht wenigen Gemeindemitgliedern ist er nach Sachsenhausen zum Äbbelwoi gefahren. Oder noch lieber gleich nach Portugal.

Clajo war ein solidarischer Kollege und ein besserer Pfarrer, als er es selbst im Rückblick auf seine Dienstzeit gesehen hat. Das hat man z.B. bei seiner Beerdigung gesehen, wo aus allen Gemeinden, in denen er war Menschen gekommen sind um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Clajo brachte aus dem Studium die Idee mit, Kirchenkabarett zu machen. In seiner Marburger Zeit war er im „Tretboot“ aktiv, ihr Paradestück war „Gott beim Psychiater“, davon hat er immer ganz begeistert erzählt…….. Na gut, Karin und ich sind eingestiegen und haben bei Gemeindefeiern und beim Dekanatskirchentag ein paar Sketche auf die Bühne gebracht. Den Leuten hat’s gefallen und irgendwann fragten Kollegen aus der Nachbarschaft, ob wir den Quatsch nicht auch bei ihnen auf die Bretter bringen wollten. Otto Schenk (+) aus Wiebelsbach war der erste, der uns dafür eine Gage zahlte: 100,- DM, die wir in der Weinstube „Kitz“ in Aschaffenburg auf den Kopf gehauen haben. Wir waren erfreut und verblüfft zugleich. Dann war ich 1995 beim Kirchentag in Hamburg und besuchte das „Zentrum Kirchenkabarett“. Das dort Dargebotene war so schlecht, dass ich mir dachte: „Also, das können wir auch und sogar besser! Wir melden uns für’s nächste Mal an.“ Clajo war leicht zu begeistern (Karin nicht. Sie stieg aus der Gruppe aus) und wir waren dann mit klopfendem Herzen 1997 in Leipzig dabei. Der Kirchentag brachte uns in der „Pfeffermühle“ und bei den „Akademixern“ unter, zwei DDR-Traditionsbühnen mit ehrfurchtsgebietenden Plakaten im Foyer und in den Garderoben. Irreführender Weise sorgten die zahlreichen Fans aus unserem Heimatdekanat für gute Stimmung und wir dachten damals, wir seien echt gut, ein Gedanke, der den darauf folgenden Praxistest nicht immer bestanden hat, aber immerhin: wir waren ermutigt, also „empowered“, wie man heute so sagt. Danke, Kirchentag!

In der Folge traten wir überall auf, wo man uns nicht unter Androhung von Schlägen sofort vertrieben hat: Kirchengemeinden, Gewerkschaften, Vereine, Geburtstage. Und es war eine harte Zeit, die durch unsere Ignoranz gepaart mit Selbstbewusstsein rosa umnebelt wurde. Wir hatten eine chaotische Nummernrevue mit vielen flachen Witzen, einzig Clajo’s Solo „Midlife-Crisis“ war eine sichere Bank. Konsequenterweise hat er 27 Jahre lang immer wieder daraus zitiert. Es waren schweikjanisch anmutende Witze übers Älterwerden, Macho-Gehabe und Technikgläubigkeit, ein Potpourri von Gags, das aus einem Ideen-Pool hätte kommen können, an dem Groucho Marx, Heinz Erhardt und Hanns-Dieter Hüsch beteiligt gewesen waren. Erstaunlicherweise war Clajo der Härtere von uns beiden, wenn es darum ging, Misserfolge wegzustecken. Im realen Leben war er dünnhäutiger als ich, aber rund um die Bühne gab er den Ironman, es war wohl seine Leidenschaft, die ihn angetrieben hat. Er war der geborene Klassenkasper, der davon träumte, ein zweiter Hüsch zu werden. Sein Studentenkabarett-Kollege Tom Kessler hat davon erzählt, dass Clajo beim Frühstück der Bibelkundeprüfungs-Gruppe über Wochen stundenlang Witze erzählt hat, ohne sich auch nur einmal zu wiederholen. Bei einer Geburtstagsfeier habe ich einmal erlebt, wie eine Frau ihn anflehte, jetzt bitte sofort mit Witzeerzählen aufzuhören, weil sie sonst auf der Stelle vor Lachen sterben müsste. Sein Fundus war wirklich erstaunlich: Hüsch, Gernhardt, Erhardt, Stoltze, Stammtisch, später Internet…….. er schreckte vor nichts zurück, sog alles in sich auf und konnte – wenn er wollte und gut drauf war – locker einen ganzen Abend als Alleinunterhalter ausfüllen. Rilke und die Bibel hatte er auch drauf, aber das setzte er an anderer Stelle ein.

Clajo war ein sehr gebildeter und belesener Mensch. Er dozierte lieber als zuzuhören, das konnte auch schon mal nervig sein. Aber er wusste auch wirklich sehr viel und wer den Kopf voller Zeug hat muss das eben ab und zu mal rauslassen, sonst gibt es Überdruck im Cortex. Er konnte ein paar Paradestücke aus seinen Orientalistiksemestern zitieren, er parlierte über Moby Dick, die Architektur des Wiener Rings, Samurai-Codives und er konnte fast alle Folgen von „Big Bang Theory“ auswendig runter beten. Sein Problem war die Systematik. Er war einer jener Prüflinge, die extrem gut vorbereitet sind, nicht selten im Detail mehr wissen als der Prüfer, das Ganze aber so unstrukturiert präsentieren, dass nach der Prüfung alle im Raum wirklich froh sind, dass die Sache ohne Nasenblutvergießen zu Ende gegangen ist. „Zerstreuter Professor“ hat meine Mutter immer über solche Leute gesagt. Er war ein sprunghafter Geist, seine Bühnenauftritte und Predigten waren manchmal von Assoziationsgewittern erleuchtet oder verfinstert, je nach dem. Als „Aphorismencocktail“ hat ein Kollege einmal seinen Predigtstil charakterisiert. Ich war nach all den Jahren immer wieder überrascht, was für einen wilden Ritt er bei Auftritten hinlegen konnte. Manchmal habe ich gefleht: „Oh bitte, komm zum Punkt!!“ und manchmal hab ich mich schlapp gelacht über seine Einfälle und es gab Situationen wo ich dachte: „Wow, er ist ja wirklich ein Genie!“ und stolz drauf war, mit ihm zusammen zu arbeiten. Wie gesagt: Langweilig war es mit ihm eigentlich nie…..

.wird fortgesetzt…..